Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat in seinem Beschluss festgestellt, dass Peugeot Austria Gesellschaft m.b.H., die österreichische Generalimporteurin des französischen Automobilherstellers Peugeot, über eine marktbeherrschende Stellung verfügt. Diese Marktmacht hatte Peugeot Austria mit einer Reihe unzulässiger Vertragsbestimmungen gegenüber einem österreichischen Vertragshändler jahrelang missbraucht.
Der OGH hat Peugeot Austria in seinem Urteil dazu verpflichtet, die festgestellten Missbräuche innert einer Frist von drei Monaten abzustellen bzw. die Partnerverträge in diversen bemängelten Punkten anzupassen. Im Übrigen hat der OGH festgehalten, dass wegen der Verwendung standardisierter Verträge auch weitere Vertragshändler von den missbräuchlichen Vertragsbestimmungen betroffen sein könnten.
Beschluss des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom 22. März 2021 (Az. 16 Ok 4/20d).
Unzulässiges Vergütungssystem
Das höchste österreichische Gericht hat namentlich verschiedene Elemente des Vergütungssystems von Peugeot Austria für Vertragshändler im Neuwagengeschäft wie auch im Werkstattbereich für missbräuchlich befunden.
Im Neuwagengeschäft erachtete der OGH insbesondere das Koppeln von Prämienzahlungen für den Vertragshändler an Kundenzufriedenheitsumfragen als unzulässig, oder die Kürzung der Händler-Marge bei Nicht-Erreichen der bewusst von Peugeot Austria überhöht festgesetzten Verkaufsziele. Ebenfalls als unzulässig wurde die Konkurrenzierung der Vertragshändler durch Peugeot-eigene und von Peugeot quersubventionierte Eigenstellen erachtet.
Im Werkstattbereich rügte der OGH ein "übermässig aufwendiges Kontrollsystem" sowie nicht kostendeckende Stundensätze, welche Garantie- und Gewährleistungsarbeiten für die Vertragswerkstätten unrentabel erscheinen liessen.
In beiden Bereichen dürfen zudem gemäss Beschluss des OGH die Kosten für ein sogenanntes "Mystery-Shopping" sowie die regelmässigen Audits der Standardkriterien nicht auf die Vertragshändler und Vertragswerkstätten überwälzt werden.
Erkenntnisse für die Schweiz
Interessant ist der Entscheid des OGH aus Schweizer Sicht vorderhand aus zwei Gründen.
Erstens hat sich der Gerichtshof in der Beurteilung der Marktstellung von Peugeot Austria auf § 4 Abs. 3 des österreichischen Kartellgesetzes gestützt. § 4 Abs. 3 KartG enthält die Bestimmung des österreichischen Rechts zur relativen Marktmacht. Demnach gelten Unternehmen auch dann als marktbeherrschend, wenn diese über eine "überragende Marktstellung" verfügen, wenn also dessen Lieferanten oder Abnehmer "zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angewiesen sind".
« Entscheidend ist, ob Ausweichmöglichkeiten in Form alternativer Absatz- oder Bezugsmöglichkeiten zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen bestehen. »
Dieselben wirtschaftlichen Abhängigkeiten adressierte auch der indirekte Gegenvorschlag zur Fairpreis-Initiative. Massgeblich wird auch unter der neuen Schweizer Bestimmung sein, ob die Lieferanten oder Abnehmer über wirtschaftlich vertretbare bzw. zumutbare Ausweichmöglichkeiten verfügen.
Zweitens sind die Verträge im Schweizer Automobilhandel mit denjenigen in Österreich weitgehend vergleichbar und branchenüblich. In Österreich wie auch der Schweiz werden Automobile regelmässig im selektiven Vertrieb verkauft.
Die Vertragshändler üben ihre Geschäftstätigkeit jeweils in einem engen Korsett vertraglicher Vorgaben der Hersteller oder Generalimporteure aus (sog. Standards oder Standardkriterien), die oftmals substantielle Investitionen in die Geschäftsbeziehung zum jeweiligen Lieferanten erfordern. Aus kartellrechtlicher Sicht lassen sich solche Verträge zwar unter dem Gesichtspunkt einer Wettbewerbsabrede wohl rechtfertigen. Die weitreichenden vertraglichen Vorgaben des Selektivvertriebs rufen jedoch auch die Missbrauchskontrolle auf den Plan, was unter den neuen Regeln umso mehr zu beachten sein wird.
Prüfung auf Abhängigkeitsverhältnisse
Nach dem Gesagten sind die Markt- und Vertriebsverhältnisse in der Schweiz mit den Verhältnissen in Österreich durchaus vergleichbar. Und zukünftig werden die Vertragsbeziehungen der Marktteilnehmer von ebenfalls weitestgehend vergleichbaren Gesetzesbestimmungen erfasst. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass die Händler- und Werkstattverträge der Schweizer Generalimporteure unter den neuen Bestimmungen zur relativen Marktmacht eine ebenso vergleichbare Beurteilung durch die Wettbewerbskommission oder die Zivilgerichte erfahren könnten.
Generalimporteure im KFZ-Vertrieb sind jedenfalls gut beraten, ihre Vertriebssysteme rechtzeitig auf mögliche Abhängigkeitsverhältnisse zu prüfen. Dasselbe gilt über den Automobilvertrieb hinaus aber auch für andere Branchen, in denen der Vertrieb selektiv ausgestaltet ist und die Händler umfangreiche und kostenintensive vertragliche Vorgaben erfüllen müssen, die entsprechende Abhängigkeitsverhältnisse zur Folge haben können.