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VITH: Viel Lärm um nichts - wirklich?

2020 sind die neuen Regeln für die Integrität und Transparenz im Heilmittelbereich in Kraft getreten. Viel wurde darüber gesprochen. Doch was ist seither geschehen? Ein Rückblick und ein Ausblick in die Zukunft. Was steht uns noch bevor?

22.03.2021 Matthias Stauffacher  •   Dr. Christoph Willi, LL.M.

Um was geht es?

Seit dem 1. Januar 2020 gilt das revidierte Heilmittelgesetz HMG und die neue Verordnung über die Transparenz und Integrität im Heilmittelbereich (VITH). Die neuen Bestimmungen legen medizinischen Leistungserbringer weitgehende Pflichten im Umgang mit geldwerten Vorteilen auf, namentlich im Zusammenhang mit der Verschreibung und der Abgabe von Arzneimitteln. Aber auch bei Medizinprodukten müssen Rabatte transparent ausgewiesen und weitergegeben werden.

Ist das neu?

Geldwerte Vorteile für die Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln waren schon früher verboten. Neu sind die Regeln der Transparenz bei den Rabatten und neu ist auch, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zuständig ist für die Durchsetzung dieser Regeln, zuständig einschliesslich der Weitergabe von Vergünstigungen.

Was hat das BAG seither unternommen?

Mit der VITH hatten Bundesrat und Parlament Grosses geplant: 700 Stellenprozente für den Aufbau und die Organisation des Vollzugs in den Bereichen HMG und KVG hat das Parlament vorgesehen. Der Bundesrat hat dieses Kontingent um weitere 100 Stellenprozente erhöht. Tatsächlich hat das BAG Anfang 2020 eine Website aufgeschaltet und ausgewählte Fragen zum HMG und der VITH in einem Q&A beantwortet.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie?

Nicht nur das BAG musste seine Ressourcen in Folge der Pandemie neu ausrichten, auch viele Leistungserbringer und Lieferanten waren gezwungen, sich mit anderen Themen zu beschäftigen als mit geldwerten Vorteilen. Gemäss eigenen Angaben hat das BAG bisher kein einziges Strafverfahren abgeschlossen.

Was heisst das für die Zukunft?

Aus der pandemiebedingten Inaktivität des BAG kann für die Zukunft nichts abgeleitet werden. Ganz im Gegenteil: Das Vollzugsdefizit bedeutet weder, dass die neuen Regeln nicht gelten würden, noch dass das BAG auch in naher Zukunft weiterhin inaktiv bleiben wird. Eine Behörde kann mit dem Vollzug zuwarten und heute praktiziertes Verhalten rückwirkend sanktionieren. Mit den erforderlichen Anpassungen dürfen Marktteilnehmende also nicht einfach zuwarten, bis das BAG ein Verfahren eröffnet.

Sind die Rabatte verschwunden?

Ein zentrales Anliegen der Revision war die Weitergabe der Rabatte. Das Parlament wollte Rabatte zuerst ganz verbieten, hat sich dann aber entschieden, diese zu erlauben, sofern sie transparent ausgewiesen und weitergegeben werden. Die Regelung der Transparenz und der Weitergabe ist jedoch kompliziert, weshalb sie als nicht umsetzbar kritisiert wurde. Namentlich fällt beim Leistungserbringer ein unverhältnismässig grosser Aufwand an, um mit den Rabatten rechtskonform umzugehen. Marktteilnehmer äusserten deshalb die Befürchtung, dass Rabatte verschwinden und durch andere Vergütungsmodelle ersetzt werden könnten. Tatsächlich haben Novartis und andere Pharmaunternehmen erklärt, keine Rabatte mehr zu gewähren.

Was wurde aus der teilweisen Weitergabe von Rabatten?

Um Rabatte attraktiver zu machen, hat der Gesetzgeber den Leistungserbringern erlaubt, die von ihnen ausgehandelten Rabatte auch nur teilweise weiterzugeben. Ein Leistungserbringer darf den nicht der Weitergabe unterliegende Teil jedoch nicht einfach in die eigene Tasche stecken, sondern muss diesen für die Verbesserung der Behandlungsqualität einsetzen.

Die teilweise Weitergabe setzt jedoch voraus, dass der Leistungserbringer mit den Krankenkassen einen Vertrag abgeschlossen hat. Um eine effiziente Umsetzung zu gewährleisten, muss ein Vertrag mit allen Krankversicherungen zu gleichen Konditionen abgeschlossen werden. Um dies zu verhindern genügt es, dass sich auch nur eine Krankenversicherung querstellt.

Die Befürchtungen zum Trotz hat die FMH zumindest mit einem Teil der Krankenversicherungen einen Rahmenvertrag abgeschlossen und führt Verhandlungen mit weiteren Versicherungen. Die Abwicklung der Vertragspflichten, insbesondere die Datenlieferung bleibt jedoch aufwändig und Vieles blieb ungeregelt. Entsprechend sind es ausschliesslich professionell organisierte Ärztenetzwerke, welche diesem Vertrag beigetreten sind. Eine Ausnahme ist Pro Medicus, welche für bestimmte Facharztgruppierungen umfassende Vereinbarungen ausgehandelt hat.

Wo bestanden die grössten Unsicherheiten?

Rabatte sind weiterzugeben, so der Grundsatz. Viele Unsicherheiten bestanden jedoch bei der Frage, wann überhaupt ein Rabatt vorliegt.

Die Frage ist nur scheinbar einfach zu beantworten: Beim Erlass der Regulierung hatte der Gesetzgeber die Situation bei den Arzneimitteln der Spezialitätenliste vor den Augen. Dort gibt es einen behördlich festgelegten Fabrikabgabe- und Publikumspreis. Entsprechend erhoffte sich der Gesetzgeber, dass sich die Frage einfach beurteilen lässt, ob ein Rabatt gewährt worden war oder nicht.

Doch so einfach ist es nicht. Behördlich festgelegt ist der Fabrikabgabepreis, also der Einstandspreis für SL-Arzneimittel. Auf Basis des Fabrikabgabepreises wird ein Zuschlag für die Logistikkosten erhoben. Wie ist da zum Beispiel die Situation zu beurteilen, in der sich der Leistungserbringer die bestellten Arzneimittel von seinem Lieferanten sortiert und etikettiert in sein Lager einräumen lässt? Diese Leistungen haben einen Preis und die Kosten für diese Leistungen dürfen dem Leistungserbringer nicht erlassen werden, ansonsten liegt allenfalls ein Rabatt vor. Wie sind diese Kosten zu bemessen? Lässt sich dieser Aufwand mit einer Pauschale abgelten - ungeachtet des Warenwertes und der Ausliefererungsfrequenz?

In der Beurteilung dieser Fragen sind Leistungserbringer vielfach überfordert. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Vertragspartner sich rechtskonform verhalten.

Was gilt bei Medizinprodukten?

Beim Kauf von Medizinprodukten gewährte Rabatte unterliegen der Weitergabe, soweit die Produkte auf der Mittel und Gegenständeliste (MiGeL) aufgeführt sind. Entsprechend sind auf MiGeL Produkte gewährte Rabatte transparent auszuweisen.

Bei Medizinprodukten ist die Frage nach dem Umgang mit Rabatten erst verspätet in das Bewusstsein der Marktteilnehmer gelangt. Anders als bei der Spezialitätenliste legt die MiGeL nur den Höchstvergütungsbetrag fest, was dem Publikumspreis der Spezialitätenliste entspricht. Der Einstandspreis ist behördlich nicht festgelegt. Dies erschwert die Beurteilung, ob überhaupt ein Rabatt vorliegt. Nicht bei jeder Abweichung vom Höchstvergütungsbetrag der MiGeL liegt automatisch auch ein Rabatt vor. Gleich wie bei den Arzneimitteln der Spezialitätenliste ist dem Händler, bzw. der Abgabestelle eine Vertriebsmarge zuzugestehen. Entsprechend muss es diesen möglich sein, unter dem Höchstvergütungsbetrag einzukaufen, ohne dass die Differenz als Rabatt zu beurteilen ist.

Können Rabatte überhaupt weitergegeben werden?

Im vergangenen Jahr mussten Leistungserbringer erkennen, dass die Pflicht zur Weitergabe nicht umgesetzt werden kann, selbst wenn der Wille dazu vorhanden war. Um die Rabatte gegenüber den Krankenversicherungen auszuweisen, müssen die Abrechnungssysteme angepasst werden. Dies liegt jedoch nicht in der Hand der Leistungserbringer. Auch hier besteht ein grosses Vollzugsdefizit. Bezeichnenderweise sieht der FMH Rahmenvertrag vor, dass die weiterzugebende Vergütung "mittelfristig bis spätestens Ende 2022" auf jeder Rechnung ersichtlich aufzuführen ist.

Was ist mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschehen?

Mit dem Inkrafttreten der VITH haben Hersteller und Grosshändler ihre Lieferkonditionen geändert. In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) weisen sie darauf hin, dass ihre Kunden für die korrekte Weitergabe von Rabatten allein verantwortlich seien. Ohne zusätzliche Angaben von ihren Lieferanten können die Kunden aber gar nicht beurteilen, ob sie einen Rabatt erhalten haben. Der Lieferant bleibt deshalb in seiner Verantwortung. Jedenfalls ist die Überbürdung der Verantwortung nicht sehr kundenfreundlich.

Viele «neue» Dienstleistungen

Wie Pilze sprossen im letzten Jahr Wasserspender, Werbeplakate und Broschüren in Arztpraxen und Apotheken aus dem Boden. Dies wohl nicht zuletzt, da die VITH die Vergütung von Dienstleistungen von Ärzten oder Apothekern zulässt. Das BAG selber erklärte, dass Wasserspender oder ein Schaukelpferd von einem Lieferanten finanziert werden dürfen. Die Schwierigkeit ist, die Vergütung zu bestimmen. Wieviel darf eine Werbung in einer Apotheke kosten? Oder zu welchem Stundensatz darf der Arzt für seine Zeit entschädigt werden? Ist die Vergütung zu hoch, so liegt ein rechtswidriges Verhalten vor. Das pandemiebedingte Vollzugsdefizit hat zur Folge, dass sich eine Praxis noch nicht herausbilden konnte. Es besteht deshalb grosse Unsicherheit, ob und in welchem Umfang die Vergütung von Dienstleistungen zulässig ist.

Sind Spitäler von der VITH ausgenommen?

Die VITH differenziert nicht nach der Art der Leistungserbringer. Sie gilt für das Verschreiben und Abgeben von Arzneimitteln gleichermassen. Dennoch gehen viele Spitäler davon aus, dass die Pflicht zur Weitergabe von Rabatten sie nicht betrifft. Dies weil die Rabatte bereits im Taxpunktwert der Tarifverträge für die stationären Leistungen eines Spitals (DRG) oder der ambulanten medizinischen Leistungen (Tarmed) eingerechnet seien. Auch hierzu gibt es noch keine Entscheide. Ungeachtet der besonderen gesetzlichen Regelungen für den stationären Bereich oder bei Pauschalpreisen im ambulanten Bereich stehen Spitäler weiterhin in der Pflicht, die VITH korrekt umzusetzen.