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Strategieprozess in einer Anwaltskanzlei
Eine interessante Anfrage lag kürzlich auf meinem Tisch: Eine Anwaltskanzlei plant einen Strategie-Workshop und bucht mich, diesen zu leiten. Eine Mischung aus Moderation, Coaching und Mediation. Wo wollen wir hin, mit wem, an welchem Ort? Es galt, Fragen zu stellen. Ein Erlebnisbericht.
Die Konstellation
Die Kanzlei hat fünf Partner:innen, wobei Gründer und Gründerin bereits im Pensionsalter sind und die drei Partner:innen schon Substitut:innen in der Kanzlei waren. Ein sechster Partner wird im Sommer 2026 dazustossen. Alle Partner:innen führen ein eigenes Einzelunternehmen, teilweise mit eigenen Aktiengesellschaften und eigener Buchhaltung. Die Kanzlei hat gemeinsames Personal (angestellt von einem Partner) und unterhält als einfache Gesellschaft Kanzleiräumlichkeiten mit Infrastruktur und Archiv. Die Kanzlei tut sich schwer damit, Nachwuchs zu finden.
Der Prozess
Von der Kanzlei vorgegeben war die personelle Zusammensetzung des Workshops; Gründer und Gründerin wollten "nicht im Weg stehen" und daher am Workshop nicht teilnehmen. Hingegen sollte der im Sommer 2026 dazu stossende Partner teilnehmen. Gründer und Gründerin liessen es sich aber nicht nehmen, ihre Ansichten in zum Voraus formulierten "Gedankensplitter" pointiert darzulegen.
Auf meinen Wunsch habe ich im Vorfeld mit allen Partner:innen, aber auch mit Gründer und Gründerin rund einstündige Einzelgespräche geführt. Dank der grossen Offenheit in allen Gesprächen erhielt ich einerseits einen guten Einblick in die Funktionsweise der Kanzlei, andererseits, und nicht weniger wichtig, konnte ich Persönlichkeiten der involvierten Partner:innen einschätzen.
Gestützt auf meine Einsichten habe ich einen Tagesplan entworfen und mit den Partner:innen abgesprochen. Genauso sind wir dann in den Workshop gestartet und haben den Fokus, gestützt auf Erkenntnisse aus den Start-Präsentationen der Partner:innen, auf Brennthemen gelegt.
Themenliste und Interessenklärung
Ich möchte hier klar festhalten: Ein Strategieworkshop ist keine Mediation. Die Partner:innen führen keine Auseinandersetzung. Trotzdem ist der Einstieg und die Energie vergleichbar. Es geht darum, die für die Partner:innen wesentlichen Themen herauszuschälen und ihre jeweiligen Interessen zu klären. Wichtiges Detail: Die Partner:innen müssen Themen und Interessen direkt voneinander hören, auch wenn sie vieles schon intuitiv wissen (oder zu wissen glauben).
Die Partner:innen präsentieren entlang eines vorbereiteten Fragekatalogs. Ich habe die Präsentationen zusammengefasst und den Partner:innen nach meinem persönlichen Verständnis gespiegelt. Faszinierend war es, das AHA-Erlebnis der Partner:innen mitzuerleben. Sich bewusst zu werden, dass sich gewisse Fragen eigentlich gar nicht stellen, weil alle Partner:innen gleicher Meinung sind.
Die nachfolgend materiell diskutierten Fragen stellen sich meines Erachtens in jeder Kanzlei früher oder später. Wie sie gelöst werden, ist individuell unterschiedlich.
Stabsübergabe
Wie gehen wir mit älteren Kolleg:innen um? Wie gehen wir mit den Partner:innen um, die die Kanzlei gegründet und/oder entscheidend geprägt haben? Wie gehen diese Leitsterne der Kanzlei mit uns um? Wann, und wie, übergeben sie den Stab?
Können wir die Bilder, die wir uns in vielen Jahren voneinander gemacht haben, noch verändern? Können wir die gegenseitige Wertschätzung aufrecht erhalten und doch Dinge verändern, welche den Älteren lieb, aus Sicht der Jüngeren aber aus der Zeit gefallen sind? Meine Einschätzung der Lage: Ja, das geht! Die "Jungen" dürfen (und müssen) direkt und klar ansprechen, was sie verändern möchten. Die "Alten" tun gut daran, Veränderungen zu respektieren und ihre Erfahrungen nurmehr auf Nachfrage zu teilen.
Wir vs. Jeder für sich
Die Gretchenfrage jeder kleineren bis mittleren Kanzlei: Sind wir ein Unternehmen oder bloss eine "WG", wo jeder ein- und ausgeht wie er will, macht was er will? Natürlich, ein gemeinsames Logo, ein gemeinsamer Briefkopf, suggeriert ein einheitliches Unternehmen - genügt das? Was braucht es für ein "Wir-Gefühl": Eine gemeinsame Aktiengesellschaft, eine gemeinsame Buchhaltung, ein gemeinsames Bier jeden Freitagabend oder genügt ein gemeinsames Weihnachtsessen?
Solange alle Partner:innen mit dem Setting wohl sind, ist es gut. Will man das "Wir-Gefühl" aber stärken - davon bin ich überzeugt - sind aktive Bemühungen zwingend. Die rechtliche Form alleine ist kaum entscheidend, Gemeinsamkeit muss man leben. Schön daher, dass die Partner:innen erste im Workshop generierte Ideen sofort umsetzen wollen und sich entschlossen haben, ihre Zusammenarbeit in weiteren Sitzungen zu thematisieren.
Wie finde ich Nachwuchs?
Der "war for talents" ist Realität. Wie kann eine kleine Kanzlei gegenüber der Übermacht von Grosskanzleien, Banken, Versicherungen guten Nachwuchs finden?
Da lohnt sich zuerst die Überlegung, was die jungen Talente denn überhaupt suchen. Ein probates Mittel ist das direkte Gespräch. –Viele Nachwuchs-Mitarbeiter sind sehr gerne bereit Auskunft zu geben. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass es nicht nur um viel Lohn und Work-Life-Balance geht. Sie wollen interessante Arbeit, von uns lernen können, Wertschätzung, ein angenehmes Arbeitsklima. Seien wir ehrlich, so weit von unseren damaligen Vorstellungen ist das nicht entfernt.
Wenn wir erst einmal wissen, was die jungen Talente wollen, müssen wir es nur noch bieten, simpel, oder? Einfach ist die Einsicht, was zu tun wäre - schwieriger ist, nach dieser Einsicht zu leben. Sich die Zeit nehmen, einem Talent etwas zu zeigen, auch wenn dies viel mehr Zeit braucht, als wenn man es selber machen würde. Einem Talent ermöglichen, Erfahrungen zu machen, auch wenn man dann Zeit für die Korrektur braucht. Einem Talent Wertschätzung zu zeigen, auch wenn im SchKG noch ein (zu) grosser Nachholbedarf besteht. Meine persönliche Erfahrung zeigt, es lohnt sich - irgendwann kommt die Zeit der Ernte!
Ich habe mich sehr gefreut, diesen Workshop leiten zu dürfen. Die Diskussionen waren inspirierend und lehrreich. Ich wünsche der Kanzlei viel Erfolg, weiterführende, offene Diskussionen und viele sie fordernde Talente.