In Folge des Verhandlungsabbruches zum Rahmenabkommen hat die EU-Kommission erklärt, sie werde das Abkommen mit der Schweiz über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA) nicht aktualisieren. Dieses hatte der Schweiz einen gleichberechtigten Zugang zum europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte ermöglicht. In Kooperation mit den EU-Mitgliedsstaaten konnte die Schweiz seit 1999 an einer effektiven und effizienten Überwachung der Medizinprodukte teilhaben. Die Versorgung mit sicheren Medizinprodukten aus dem europäischen Binnenmarkt kam auch dem Schweizer Gesundheitswesen zu Gute.
Ausschluss vom EU-Binnenmarkt für Medizinprodukte
Aufgrund der Weigerung der EU, das MRA auf dem Verhandlungsweg nachzuführen, soll die Schweiz keinen Zugang zur europäischen Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) erhalten. Dabei handelt es sich um eine der wichtigsten Neuerungen der neuen europäischen Medizinprodukteregulierung (EU-MDR). Dadurch sollen Behörden rasch auf Vorfälle reagieren und Massnahmen zum Schutz der Patientinnen und Patienten anordnen können. Aufgrund des verweigerten Zuganges muss die Schweiz die Überwachung der Medizinprodukte selber organisieren. Die dafür erforderlichen Instrumente sind erst im Aufbau.
Änderungen an der MepV
Im Hinblick auf den Abbruch der Vertragsverhandlungen mit der EU und dem von dieser in Aussicht gestellten Ausschluss der Schweiz vom Binnenmarkt für Medizinprodukte hat der Bundesrat punktuelle Änderungen an der Medizinprodukteverordnung (MepV) vorgenommen. Diese betreffen folgende Bereiche:
- Registrierung bei Swissmedic: Hersteller, Bevollmächtigte und Importeure müssen sich bei Swissmedic registrieren. Händler sind von der Registrierungspflicht ausgenommen. Die Registrierung ist nur einmal pro Unternehmen vorzunehmen und nicht zu widerholen, falls das Sortiment um weitere Produkte erweitert wird. Die Registrierung muss bis am 26. November 2021 vorgenommen werden. Nach der Kontrolle der Angaben teilt Swissmedic dem Unternehmen eine schweizerische Identifikationsnummer zu.
- Ernennung eines Schweizer Bevollmächtigten durch EU-Hersteller: Die Übergangsfristen wurden verlängert. In Abhängigkeit der Risikoklasse gilt dafür der 31. Dezember 2021 (alle höherklassifizierten Medizinprodukte), der 31. März 2022 (für nicht implantierbare Produkte der Klasse IIb und Produkte der Klasse IIa) und der 31. Juli 2022 für alle übrigen Medizinprodukte. Die verlängerte Übergangsfrist soll es Schweizer Abnehmern ermöglichen, alternative Produkte zu suchen, um dadurch Versorgungsengpässe zu vermeiden.
- Labelling: Für die Beschriftung der Produkte (Labelling) sind keine Übergangsfristen vorgesehen. Die Anschrift des schweizerischen Importeurs ist deshalb per sofort auf allen von ihm in Verkehr gebrachten Produkten sofort anzubringen. Auch der jeweilige Schweizer Bevollmächtigte ist aufzuführen. Bezeichnet der ausländische Hersteller einen Schweizer Bevollmächtigten erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist das Labelling erneut zu ändern.
- Technische Dokumentation: Der Hersteller kann darauf verzichten, dem Schweizer Bevollmächtigten die technische Dokumentation zur Verfügung zu stellen, sofern er sich vertraglich verpflichtet, diese der Swissmedic innert 7 Tagen zuzustellen, falls er dazu aufgefordert werden sollte. Durch diese Massnahme soll der Hersteller von der Pflicht entbunden werden, geheimhaltungsbedürftige Informationen gegenüber dem Bevollmächtigen offenzulegen. Die praktische Bedeutung dieser vermeintlichen Erleichterung erscheint fraglich: Aus haftungsrechtlichen Gründen werden Bevollmächtigte kaum bereit sein, die mit ihrer Tätigkeit verbundene Haftung zu übernehmen und auf das Recht auf Durchführung eines umfassenden Audits zu verzichten.
- Covigilance (Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen an Swissmedic): Die Meldepflicht ist auf Vorfälle beschränkt, die sich in der Schweiz zugetragen haben. Die Pflicht gilt unabhängig davon, ob der Hersteller seinen Sitz in der Schweiz hat oder nicht. Sie gilt auch für ausländische Hersteller, solange sie keinen schweizerischen Bevollmächtigen bezeichnet haben.
- Anerkennung von EU-Konformitätsbescheinigungen: Um unnötige technische Handelshemmnisse zu vermeiden, will die Schweiz von den zuständigen EU-Stellen ausgestellte Konformitätsbescheinigungen einseitig anerkennen. Vorausgesetzt ist, dass die angewandten Konformitätsbewertungsverfahren den schweizerischen Anforderungen genügen und dass die Konformitätsbewertungsstelle über eine gleichwertige Qualifikation wie in der Schweiz gefordert verfügt.
- Produktidentifikation: Die produktspezifischen Meldepflichten bleiben einstweilen unverändert. Es gelten die Meldepflichten im bisherigen Umfang und auf Grundlage der alten MepV. Erst zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Angaben zum eindeutigen Produktidentifikator (Unique Device Identification, UDI) gemeldet werden müssen - dann aber bei Swissmedic statt bei Eudamed.
Durch diese Änderungen beabsichtigte der Bundesrat, die negativen Auswirkungen auf die inländische Versorgung mit Medizinprodukten zu dämpfen. Die punktuell wirkenden Massnahmen vermögen nicht darüber hinweg zu täuschen, dass diese nur die schweizerische Versorgung mit Medizinprodukten betreffen. Schweizer Medizinproduktehersteller bleiben vom europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte ausgeschlossen, sofern ihre Produkte nicht die spezifischen Voraussetzungen der EU-MDR erfüllen, wozu eine Konformitätsbescheinigung erforderlich ist, die durch eine EU-Stelle ausgestellt wurde. Die von der schweizerischen Zertifizierungsstelle SQS ausgestellten Zertifikate sollen nicht mehr anerkannt werden – und zwar mit sofortiger Wirkung. Wie in den Medien berichtet, sei Schweizer Unternehmen keine Übergangsfrist gewährt worden. Dies entgegen früheren Verlautbarungen, wonach die Zertifikate der SQS für eine Übergangsfrist bis 2024 gültig bleiben würden.
Aber selbst für die inländische Versorgung mit Medizinprodukten bewirken die Änderungen nur einen vorübergehenden Aufschub. Die mit dem Verlust der Zusammenarbeit mit den EU-Behörden einhergehenden Auswirkungen auf die Sicherheit und Qualität von Medizinprodukten wird bestenfalls aufgeschoben und nicht gelöst. Die Marktüberwachung bleibt kritisch. Der Schutz von Schweizer Patientinnen und Patienten wird dadurch nicht oder nur sehr ungenügend gewährleistet.